Vortrag vom 28. Oktober 2021 von Prof. Dr. Peter Miglus (Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie Universität Heidelberg): Krieg um Ninive, Archäologie der Zerstörung
Am 28.10.2021 um 18:15 Uhr hielt Herr Prof. Dr. Peter Miglus (Universität Heidelberg) einen Online-Vortrag über neue Forschungen in dem heute innerhalb der modernen irakischen Großstadt Mossul auf der Ostseite des Flusses Tigris liegenden Ninive, speziell auf dem Nebi Junus-Hügel mit dem Titel "Krieg um Ninive, Archäologie der Zerstörung".
Zuerst begrüßte Herr Dr. Karl-Heinz Halbedl die Teilnehmer und gab einen Überblick über den geplanten Verlauf des Abends. Dann stellte der Student der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie der Universität Heidelberg Herr Serban Precup den Verein ArchaeNova e. V. und anschließend Frau Ulrike Bürger, Projektmitarbeiterin von Prof. Dr. Peter Miglus, den Referenten vor.
Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie der Universität Heidelberg und des Vereins ArchaeNova e. V. statt.
Der Vortrag fußt hauptsächlich auf den seit 2018 laufenden Forschungen und Aktivitäten auf dem Nebi Junus Hügel im antiken Ninive. Seit 2019 steht das Forschungs- und Grabungsprojekt, an dem Prof. Dr. Peter Miglus maßgeblich beteiligt ist, unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Maul (Institut für Assyriologie der Universität Heidelberg).
Zuerst ging Herr Prof. Dr. Peter Miglus nach Nennung wichtiger Sponsoren und Unterstützer (Fritz Thyssen-Stiftung, Auswärtiges Amt, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg) auf die Lage des mittelalterlichen Mossul (westlich des Tigris) und von Ninive (Ostufer des Tigris) mit Einblicken in die Forschungsgeschichte ein. Er erwähnte dabei von Ninive den Kujundschik-Hügel mit den neuassyrischen Palästen (Sanherib (704 – 681 v. Chr.)/Assurbanipal (668 – 631/627 v. Chr.)) und Heiligtümern, den Nebi Junus-Hügel (Militärpalast), den großen Tiefschnitt (1930iger Jahre/bis zu 30 m tief) und die 12 km lange Stadtmauer.
Das 612 v. Chr. von den Babyloniern und Medern zerstörte Ninive ist nach diesem Datum nur noch stellenweise (u. a. in hellenistischer Zeit) bis ins 20. Jh. besiedelt worden, so dass relativ vieles seit 612 v. Chr. ungestört blieb.
Im Juni 2014 wurde Mossul von den Kämpfern des IS (Islamischer Staat) erobert (Zerstörung von Moscheen, Kirchen und Grabmälern, Flucht von Christen und Jesiden).
In harten Kämpfen wurde Mossul dann vom März 2016 bis Juli 2017 von der irakischen Armee mit Unterstützung kurdischer Kämpfer, schiitischer Milizen und der amerikanischen Luftwaffe mit Tausenden von Toten zurückerobert, wobei der Osttteil von Mossul, in dem das antike Ninive liegt, relativ schnell erobert wurde, während der westliche Teil von Mossul fast total zerstört wurde (u. a. Zerstörung von assyrischen Objekten im Museum in Mossul/Zerstörung u. a. des Nergaltores und des Thronsaales von Sanherib (704 – 681 v. Chr.)).
Das Gelände des von den Assyrerkönigen Sanherib (704 – 681 v. Chr.) bis Assurbanipal (668 bis 631/627 v. Chr.) errichteten Militärpalastes auf dem Tell Nebi Junus wird seit 2018 u. a. von Herrn Prof. Dr. Peter Miglus untersucht und dokumentiert. Der wohl ehemals 450 m lange Militärpalast ist heute von der vom IS zerstörten Prophet-Jona-Moschee (2014 gesprengt/Grab des Jona mit Planierraupen zerstört), einem neuzeitlichen Friedhof und den Trümmern neuzeitlicher Wohnbebauung überdeckt. Durch die Zerstörungen wurde eine nähere Untersuchung des Militärpalastes möglich. Die Erforschung des Nebi Junus-Hügels ist besonders mit den Namen Claudius James Rich (1787 – 1821), dem britischen Archäologen Austen Henry Layard (1817 – 1894) und dem Assyriologen Hormuzd Rassam (1826 – 1910) verbunden.
Tunnelsystem:
Während der Zeit der Herrschaft des IS über Mossul wurden Tunnel für Raubgrabungen unter der Prophet-Jona-Moschee angelegt, um für den Verkauf geeignete assyrische Objekte zu finden. Insgesamt konnte bislang eine Länge des Tunnelnetzes von über 500 m festgestellt werden, wobei man sich bei der Anlage der durchschnittlich 1,60/1,70 m hohen Tunnel an den Mauern des assyrischen Palastes orientierte.
Das Tunnelnetz wurde skizziert, vermessen und fotografiert (u. a. für 3D-Modelle). Wichtig waren - um einen Grundrissplan zumindest eines Teiles des Militärpalastes (Thronsaal) zu erstellen - besonders die Tunnelstellen, welche an den assyrischen Militärpalast grenzten (3 – 5 m dicke Lehmziegelmauern).
Die schriftlich überlieferte Breite des Thronsaales des Militärpalastes konnte so bestätigt werden (17,7 m) und somit auch die Länge des Thronsaales rekonstruiert werden. Der Thronsaal des Militärpalastes ist der größte bislang belegte assyrische Thronsaal (17,70 m x 54 m). Es kamen im Thronsaal bei einer unterirdischen Sondage u. a. ein als Thronpodest zu interpretierender Befund und Torwächterfiguren, reliefierte Steinplatten, viele Bruchstücke glasierter Ziegel, viele beschriftete Ziegel und auch beschriftete Wandplatten zutage. Insgesamt konnte ein Thronsaalflügel mit westlich davon anschließender Terrasse und östlich des Thronsaalflügels ein Hof festgestellt werden.
Weitere Untersuchungen:
1. Grabungsschnitt 1 an der Stelle, wo sich einst das Grab des Propheten Jona befand (2019) (Projektleitung Prof. Dr. Stefan Maul (Universität Heidelberg)):
Die Grabung fand am Raum 8 des Militärpalastes statt. Die Raubtunnel der IS waren hier schon eingestürzt. Es fanden sich hier viele beschriftete und glasierte Ziegel, Mauern
(3 m hoch erhalten), eine steinerne Türschwelle und Kleinfunde (assyrische Kriegsbeute?) (u.a. wohl ägyptischer goldener Ring mit Skarabäus, wohl ägyptischer Szepterkopf, bronzenes Götterfigürchen mit Goldüberzug, zwei Keilschrifttafeln aus der Zeit des assyrischen Königs Sin-Schar-ischkun (627 – 612 v. Chr.)). An der Nordkante der Prophet–Jona-Moschee, also außerhalb des Raumes 8, fanden sich 2 osmanische Gräber und ein verzierter Gefäßständer (zweite Hälfte des 3. Jt. v. Chr.). Aus dem Schutt eines Tunnels östlich des Grabungsschnittes 1 stammt ein Rollsiegel (um 3000 v. Chr.). Rollsiegel und Gefäßständer deuten auf eine frühe Nutzung des Tell Nebi Junus.
Grabungsabschnitt 2 (2019/ehemalige Grabungsfläche des irakischen Antikendienstes 1986 – 1990):
Vom irakischen Antikendienst waren damals u. a. ein Relief von einem geflügelten Stier (ehemals wohl über 6 m hoch (Standort: am nördlichen Seiteneingang zum Thronsaal)) und Reste von noch nicht ausgearbeiteten menschlichen Figuren (Eingang zu Korridor 5) aufgedeckt worden, welche 2005 zugeschüttet wurden. Beim Grabungsschnitt 2019 wurde am Mitteltor (Haupteingang zum Thronsaal) gegraben, welches schon einmal Mitte des 19. Jhs. von den türkischen Behörden ausgegraben worden war. Es kamen Reste von Stieren und assyrisches Steinpflaster zutage.
Neuzeitlicher Friedhof:
Grabungsabschnitt 3 (auf neuzeitlichem Friedhofsgelände):
2019 fanden sich auf dem neuzeitlichen Friedhofsgelände (Grabungsabschnitt 3) zwei gut erhaltene Abschnitte von Durchgangsräumen mit Inschriften des assyrischen Königs Sanherib (704 – 681 v. Chr.), wohl Reste eines sich an der Südseite des Hofes befindlichen Tores.
Forschungen 2021:
2021 schließlich wurde in einer kurzen Untersuchung wieder der Bereich des neuzeitlichen Friedhofes in den Fokus genommen. Hier war bereits 1954 vom irakischen Antikendienst das Haupttor zum Palast an der Ostseite des Tell Nebi Junus untersucht worden.
Drei Tunnelabschnitte des IS unter dem Friedhof wurden erforscht, u. a. wurde eine mehr als 2 m hohe Backsteinmauer mit zahlreichen Inschriften des assyrischen Königs Sanherib (704 – 681 v. Chr.) und große Vorratsgefäße gefunden.
Wir danken Herrn Prof. Dr. Peter Miglus für den anregenden Vortrag, die Diskussionsleitung, für seine Fotos und die Bereitstellung eines digitalen Raums, Frau Ulrike Bürger (Projektmitarbeiterin von Prof. Dr. Peter Miglus) für die Vorstellung des Referenten, Herrn Serban Prekup für die Vorstellung des Vereins ArhaeNova e. V., Herrn Stefan Halbedl und Herrn Martin Kühner für die Durchführung des Life-Streams, Herrn Dr. Karl-Heinz Halbedl für die Begrüßung der Teilnehmer der Veranstaltung und für Fotos und allen, die zum Gelingen des Abends beigetragen haben.
Text: Karl-Heinz Halbedl. Fotos: Prof. Dr. Peter Miglus, Karl-Heinz Halbedl.
Seitenbearbeiter: Karl-Heinz Halbedl.